Vortrag

Die Peitsche

Von Iris Därmann
18.5.2015 | Johann Jacobs Museum

Die Peitsche ist ein altes Instrument des Befehls, der Unterwerfung und Züchtigung. Sie markiert mit lautem Knall, dass weder Tiere noch Menschen ohne schmerzhaften Zwang für einen anderen arbeiten und freiwillig ergebene Dienste tun.

Seitdem die Sklaverei zumindest rechtlich und die Körperstrafen im Strafrecht weitgehend abgeschafft worden sind, die religiöse Disziplin an Bedeutung verloren hat, Ackerbau und Verkehr motorisiert sind, ist die Peitsche und sind die mit ihr verbundenen Praktiken außer Gebrauch geraten und in die gespenstische Zeit der survivals im Sinne Edward B. Tylors eingetreten. Im zeitgenössischen Gebrauch der Lüste fungiert die Peitsche als ein bizarres Requisit, das den Genuss an der Beherrschung und am Leidenmachen inkarniert und auf dem Feld der Unterwerfung und des Leids eine symmetrisch entgegengesetzte Auftrags- und Begehrenslage gefunden zu haben scheint. Es fragt sich, ob die Abwendung der Peitsche von ihrem früheren Gebrauch mit der Zugabe eines verborgen gebliebenen historischen Sinnes einhergehen und damit symptomatisch sein könnte, freilich nicht in Bezug auf ihre heute vorwiegend sexuelle Dienlichkeit, sondern vielmehr hinsichtlich ihrer älteren Verwendungsweise.

Welche Rolle konnte der sadistische Genuss an der Grausamkeit und die Ausstellung von Auspeitschungsszenen für die asymmetrischen Herr-Sklavinnen und -Sklaven-Beziehungen im mittelalterlichen Europa, insbesondere in Italien und in der Neuzeit spielen? Es könnte sich erweisen, dass sich die sadistische Sexualität mit dem Bedeutungsverlust der Sklaverei in Europa zwar selbstständig gemacht und strukturell vom Bereich der Zwangsarbeit abgekoppelt hat; sie wäre aber, ebenso wie das masochistische Begehren für die religiösen Geißelungspraktiken, als konstitutiv für die Herr-Sklavinnen-Beziehungen anzusehen. Zugleich hätte das despotische Milieu ohne den sadistischen Gebrauch der Peitsche nicht mit übermäßiger Grausamkeit ausgestattet und so erst überhaupt tragfähig gemacht werden können.

 

Iris Därmann ist Professorin für Kulturwissenschaftliche Ästhetik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Forschungsfeldern rechnen die Phänomenologie, die Psychoanalyse und französische Gegenwartsphilosophie, Bildtheorien, Kulturtheorien, die Ethnologie und Konzepte des Fremden, Theater- und Tragödientheorien, sowie Ökonomien des Gabentausches und Politische Figurenlehre.

 

Der Vortrag findet statt im Rahmen der aktuellen Ausstellung und Boutique Ines Doujak: Follow The Leader/ Not Dressed for Conquering.

Titelbild: Blick aus einem ehemaligen Kolonialgebäude in Salvador (Brasilien) mit dem Landungssteg, über den die Sklaven angeliefert wurden.