Eine Installation von Ines Doujak
„Und was, bitte schön, bedeutet ein mit Lammfell überzogenes Schiffsmodell, auf dem ein Hooligan zu sehen ist, der einen afrikanischen Sklaven mimt, nebst einer vermummten Schlafenden, die von Lampions beleuchtet wird, während das Schiff fünf Straußeneier trägt, auf welche Roma-Aktivistinnen gemalt sind?“
Können wir diese Frage beantworten? – Zumindest könnten wir es versuchen, könnten so tun als ob. Schließlich sind wir ein Museum, haben einen Bildungsanspruch und sollten daher in der Lage sein das, was sich in unseren Räumen abspielt, erklären zu können. Doch Kunst hat die fatale Tendenz uns in Gefilde zu transportieren, wenn nicht zu entführen, in denen die Bedeutung, der Anker unseres symbolischen Universums, schwindet. Räume, in denen sich das Andere der Bedeutung zu erkennen gibt. Vielen Reisenden zu Land oder zu Wasser dürfte es so ergangen sein: ab einer bestimmten Grenze verlieren sich die Gewissheiten, weil es nichts Bekanntes mehr gibt, nichts, woran man sich halten kann. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Vergessensrituale, denen sich afrikanische Sklaven noch diesseits der middle passage unterziehen mussten*.
Aus Plexiglas, einem transparenten Medium, hat Doujak zehn etwa meterlange Umrisse von Kriegsschiffen sägen lassen. Die Vorbilder fuhren und fahren im Dienst einstiger und heutiger Kolonialmächte (etwa die „Viribus Unitis“ [1914-30] der österreichisch-ungarischen Marine oder das Torpedoschiff „Spica“ [1973-] der königlich-schwedischen Marine). Im nächsten Schritt wurden diese Schiffssilhouetten beklebt: mit farbigen Fotografien, die hinter dem Glas angebracht sind, wodurch eine Tiefenwirkung entsteht; mit schwarzen Lammfellen, welche die Rückseite dieser Fotos abschließen; und schließlich mit schwarz-weißen Fotografien, die auf dem Glas liegen.
Die Schiffe erhalten dadurch zwei klar unterschiedene Seiten: eine fellige, die sich in reiner Materialität ergeht, und eine bildhaft-figurative. Nicht, dass die Materialität des Fells keine Symbolik kennen würde. Bis ins 18. Jahrundert hinein war es üblich Schiffe durch Tieropfer zu weihen; das blutige Fell wurde an den Bug genagelt. Und nicht, dass die bildhaft-figurative Seite bereits von sich aus dem Erzählerischen, dem Erfassen von Zusammenhängen zuarbeiten würde. Vieles bleibt der Betrachterin dunkel, verborgen, unlesbar – nicht viel anders als es Amasa Delano ergeht, jenem amerikanischen Kapitän in Herman Melvilles Erzählung Benito Cereno (1855), der aus spontaner Hilfsbereitschaft vor der chilenischen Küste ein spanisches Schiff besteigt, ein Schiff, das rätselhafte Manöver vollführt und dessen bizarre Situation an Bord er nicht zu deuten vermag.
Benito Cereno ist eine der Quellen aus denen sich Doujaks Arbeit speist: die Geschichte eines geglückten Sklavenaufstands auf hoher See, in dessen Folge sich die Beziehung von Herr und Knecht umkehrt. Am Leben gelassen werden die Spanier unter ihrem Kapitän Cereno unter der Bedingung, dass sie die Sklaven in den Senegal zurückfahren. Der Sklavenhändler, eigentlich: sein Skelett, ziert den Bug (dort, wo vorher Christoph Kolumbus prangte). Über der Galionsfigur steht geschrieben: „Seguid vuestro jefe“ oder „Folgt Eurem Führer“ – als unmissverständliche Warnung an die Spanier. Bei seinem Besuch an Bord durchschaut Delano das Schauspiel nicht. Um gegenüber dem unerwarteten Gast den Schein zu wahren, wird Cereno von den Sklaven wie eine Autorität behandelt. Insbesondere Babo, der Anführer der Sklaven, weicht in seiner Rolle als Cerenos getreuer Diener nicht von dessen Seite. Cereno aber interpretiert aus einleuchtenden Gründen die ihm zugedachte Rolle mehr schlecht als recht. Er ist keine Autorität, er erscheint impotent, was Delano schwer irritiert.
Der Ausnahmezustand an Bord, den Melvilles Prosa kunstvoll zu evozieren weiß, hat sich im 20. Jahrhundert zu einem gewichtigen Topos des Staatsrechts und der politischen Philosophie entwickelt. Der Begriff beschreibt das Vermögen des staatlichen Souveräns, egal ob totalitär oder demokratisch bestimmt, die Rechtsordnung in bestimmten Fällen außer Kraft zu setzen, wie das beispielsweise die USA in ihrem „Krieg gegen den Terror“ mit der Schaffung des Gefangenenlagers Guantanamó auf Kuba getan haben. In verwandtem Geist hat der Rechtstheoretiker des Nationalsozialismus, Carl Schmitt, nach Ende des „Dritten Reiches“ seine Briefe mit „Benito Cereno“ signiert. Damit wollte er ausdrücken, dass sich die deutsche Geisteselite, und allen voran er selbst, gewissermaßen im Zustand der Geiselhaft unter Hitler befunden hatte. Die perverse Verdrehung, derzufolge ein Sklavenführer mit Hitler in eins gesetzt wird, nahm der Theoretiker des Ausnahmezustands in Kauf.
All diese Verwicklungen und Verweise, und noch viele mehr, sind in Doujaks Installation gegenwärtig. Schlüsselszenen aus „Benito Cereno“ werden auf den Schwarz-Weiß Fotos nachgestellt—von österreichischen Hooligans, die Doujak für diese Aufgabe gecastet hat. Die Szenen, pro Schiff jeweils eine, zeigen unter anderem den Aufstand auf dem Sklavenschiff; die tägliche Prozession der spanischen Mannschaft zur Galionsfigur; die bedrohliche Rasur Cerenos, aber auch den rettenden Sprung Cerenos in Delanos Beiboot – jener Sprung, der dem Ausnahmezustand schließlich ein Ende setzt.
Die farbigen Fotografien, welche die Folie des narrativen Geschehens bilden, sind schwerer zu deuten. Es sind zumeist Nachtaufnahmen von hoher theatralischer Kraft. Einige dieser Bilder unterstreichen den Bühnencharakter des gesamten Geschehens, und geben so dem Spiel der Hooligans eine Art Resonanzraum. Andere rahmen einen Handlunsgraum autonomer Frauen, die Zigarre rauchen oder sich die eigene Brust geben.
Die Straußeneier schließlich, welche die Schiffe als ihre Fracht tragen, sind mit Szenen bemalt und Daten versehen. Doujak hat unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler, aber auch Laien den Auftrag erteilt historische Episoden, genauer: Revolten und Kämpfe darzustellen, bei denen Frauen eine Schlüsselrolle zukommt. So hat Clarissa Metternich die Aktion einer Selbstmordattentäterin im tschetschenischen Freiheitskampf festgehalten. Andere Eierfolgen widmen sich Organisationen gegen den Frauenhandel, den Mujeres Libres im spanischen Bürgerkrieg oder den bewaffneten Frauenbrigaden im kurdischen Widerstand.
Doch wie die Positionen auf dem Sklavenschiff hochmobil, mehrfach kodiert und daher tendenziell unlesbar sind, gilt auch von diesen Episoden, dass sich Täterinnen und Opfer in vielen Fällen schwer nur unterscheiden lassen. Tatsächlich hat Doujaks Installation, die sich jeder vereinheitlichenden Betrachtung sperrt, den Ausnahmezustand in ihre Form integriert: sind die Eier dreidimensional, sind die Schiffe flach. Ist das Plexiglas kantig, so ist das Fell weich. Hat die Malereioberfläche eine Haptik, zeigt die fotografische Oberfläche mechanische Glätte. All diese formalen Eigenheiten bedeuten für sich genommen nichts. Dennoch bilden sie die Voraussetzung über alles Bekannte hinauszugehen.
* Die berüchtigte „mittlere Überquerung“ war Teil einer komplexen Handelsroute. Im ersten Reiseabschnitt wurden Eisen, Kleider, Schnaps und Schiesspulver von Europa nach Afrika gebracht, wo sie als Zahlungsmittel für Sklaven dienten. Von der westafrikanischen „Sklavenküste“ wurde die menschliche Fracht anschliessend nach Nord- oder Südamerika transportiert, wo sie gegen Zucker, Kaffee, Tabak oder Baumwolle eingetauscht wurde. Mit dieser Ladung fuhr das Schiff im dritten Reiseabschnitt zurück nach Europa.