Ausstellung

Charles Lim Yi Yong: Segelyacht nach Singapur

18.5.2017 bis 20.8.2017 | Johann Jacobs Museum

Der Stadtstaat Singapur, gegründet Anfang des 19. Jahrhunderts von einem britischen Kolonialbeamten, war stets ein Knotenpunkt von Migrationsströmen aus Malaysia, Indien und China, und bleibt bis heute ein dynamischer, stetig wachsender Organismus (und Finanzschauplatz). Charles Lim Yi Yong, einer der bekanntesten Künstler Asiens und ehemaliger Olympiasegler, seziert die historischen Schichten dieses Organismus am Beispiel des Trapezsegelns – einer lokalen Technik, die während der Kolonialzeit von britischen Sportseglern kopiert und in Europa als eigene Erfindung ausgegeben wurde. Zugleich wirft Lim Yi Yong einen Blick auf Singapurs heutige Realität als globales Zentrum, das sein Territorium im Zuge der Landgewinnung Stück um Stück ins Meer hinein erweitert.

 

Charles Lim Yi Yong (geb. 1973) war offizieller Vertreter Singapurs auf der 56. Biennale von Venedig (2015) und nahm mit dem von ihm mitbegründeten Kollektiv tsunamii.net an der Documenta 11 (2002) teil.

Veranstaltungsprogramm

Segelyacht nach Singapur

Es sind zwei Erzählstränge, die Charles Lim Yi Yong zu dieser Ausstellung verknüpft. Zum einen geht es um das Segeln. Anders als bei Impressionisten, die Segelboote des gewiss hübschen Motivs wegen malten, verfügt Lim über die technische Expertise beim Segeln und einen reichen Erfahrungsschatz an Bord. Der Künstler vertrat bei den olympischen Spielen von Atlanta (1996) den Stadtstaat Singapur, wo er 1973 geboren wurde und auch heute noch lebt. Der andere Erzählstrang widmet sich genau diesem Phänomen „Singapur“: dem Schicksal einer ehemals kolonialen Gründung, die sich über Jahrzehnte einer hypermodernen Entwicklung unterzieht. Eine entscheidende Funktion bei dieser Entwicklung auf engstem Raum spielt die „Landgewinnung“. Durch die Aufschüttung von Sand, der im grossen Stil zumeist aus Malaysia, Indonesien und China importiert wird, dehnt Singapur die eigenen Landesgrenzen systematisch aus.

Wusste Singapur sein Territorium auf diesem Wege um bislang rund 25% Prozent zu erweitern, so sind mit der „Landgewinnung“ auch Opfer verbunden. Dazu rechnen der Lebensraum an der ehemals wilden Küste sowie ganze Inseln im weitläufigen Archipel zwischen Malaysia und Indonesien. Zwei Fotos (links und rechts am Eingang der Galerie) bezeugen das surreale Schauspiel des Modernisierungsprojekts: Zeigt das eine Bild eine Insel, die eben Teil einer sandigen Landmasse wird und damit ihr Inseldasein einbüsst, so konfrontiert uns das andere Bild mit einer eisernen Mauer, die mitten im Meer errichtet wurde. Das Hinweisschild in den Landessprachen besagt, dass es hier nicht weitergeht, weil an dieser Stelle bald kommunale Wohnprojekte in die Höhe gezogen werden. Die vom Künstler manipulierte Landkarte (auf dem Podest in der Mitte), die Singapur gewissermassen filetiert, verdeutlicht die Dynamik der Eingriffe.

Eine Doppelprojektion mit Segelstudien (in der Galerie links) verrät den intimen Kenner der Materie. Anders als bei TV-üblichen Sportaufnahmen wohnt man dem Geschehen nicht von aussen bei, sondern wird in die Vorstellungswelt des Seglers versetzt. Man erfährt etwas über die Imagination des Seglers hinsichtlich seines Tuns. Dabei sind der sportliche Wettkampf, die Positionierung des Bootes sowie die Schönheit der rhythmischen Bewegungen auf dem Wasser das eine. Lim verfolgt bei der visuellen Auslotung des sogenannten „Trapezsegelns“ aber noch ein anderes, aufklärerisches Anliegen.

In den Gestaden entlang der Strasse von Malakka – seit Jahrhunderten eine der wichtigsten Seehandelsrouten der Welt, da hier der Indische Ozean und das Südchinesische Meer (der Pazifik) zusammenfliessen – sind die Gewässer so flach, dass Segelboote nicht mit Kielen stabilisiert werden können. Stattdessen müssen die langen und flachen Boote von der Mannschaft im Spiel oder auch im Kampf gegen den Wind ausbalanciert werden. Dazu lehnen sich die Segler windseitig aus dem Boot – eine halsbrecherische, bisweilen akrobatische Technik, bei der Mensch, Ding und Elemente zur Einheit verschmelzen. (Im Weissen Salon im EG des Museum hängt dazu ein bewegender Bericht, abgefasst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einem Europäer, der das seltene Privileg hatte auf einem solchen Boot mitfahren zu dürfen). Das Trapezsegeln, soviel ist gewiss, antwortet den natürlichen Bedingungen der Küstengewässer Südostasiens und hat sich dort vor Jahrhunderten etabliert, um von Generation zu Generation weitergegeben zu werden. (Übrigens stammt auch der berühmte Katamaran, gleichfalls für flache Gewässer bestimmt, aus dieser Region.)

Nun kam Charles Lim während seines Kunststudiums in England ein Text unter, in dem Sir Peter Scott, ein berühmter Segler und Vertreter des englischen Establishments, davon berichtet, das Trapezsegeln 1938 auf der Themse erfunden zu haben. Diese Darstellung empörte Lim. Doch wie geht man als jemand, der es besser weiss, mit einer solchen offenkundig irrigen Behauptung um? Es ist gut möglich, dass Scott sich tatsächlich als Erfinder der Technik wähnte, wobei dieses zu glauben einigermassen schwerfällt. Zu eng waren die Kontakte zwischen London und seinen diversen kolonialen Liegenschaften, zu denen auch die Territorien an der Strasse von Malakka und insbesondere das 1819 von Stamford Raffles gegründete Singapur gehörten.

Jenseits einer blossen Richtigstellung, der leicht pedantische, gar moralisierende Züge anhaften, lenkt Lim mit seiner Toninstallation (im Weissen Salon) die Aufmerksamkeit auf die Mechanismen der Wahrheitsproduktion. Die Installation konfrontiert Scotts Bericht von seiner „Erfindung“ mit der bereits erwähnten Schilderung des Trapezsegelns von 1895, deren Autor unbekannt ist. Verglichen wird aber nicht bloss der Inhalt der Schilderungen, sondern auch die Form. Die Stimme Scotts spricht wie selbstverständlich aus dem Zentrum; sie ist die Stimme des Empire, die auch Gehör findet: In sämtlichen einschlägigen Segelhandbüchern wird Scott als der Erfinder des Trapezsegelns genannt. Das nicht-westliche, lokale Wissen dagegen fiel bislang unter den Tisch, bis Lim zum dem Schluss kam, es ins Zentrum des fiktiven Zwiegesprächs zu rücken.

Landgewinnung

1819

Im Jahr 1819 schloss Sir Stamford Raffles mit Sultan Hussein Shah von Johore einen Pachtvertrag über Singapur, das an der Spitze der malaiischen Halbinsel liegt. Damit avancierte die kleine Insel zu einer der wichtigsten Niederlassungen der britischen Ost-Indien-Kompanie. Seine herausragende Bedeutung verdankte Singapur der strategischen Lage an der Strasse von Malakka, die den Indischen Ozean mit dem Pazifik verbindet. (Heutzutage passieren rund 25% des maritimen Welthandels, sprich: 2000 Schiffe pro Tag diese 800 Kilometer lange Enge). Während sich Singapur zum zentralen Umschlagplatz für Rohstoffe und Waren aus ganz Asien entwickelte, wuchsen die Stadt und ihre Bevölkerung. Tausende Einwanderer aus China, Indien und Südostasien kamen, um Arbeit im Hafen, in den britischen Handelshäusern oder auf den Pfeffer- und Gambirplantagen zu finden.

Tropische Moderne

Man kann versuchen mit der Natur zu leben, man kann versuchen gegen sie zu leben, man kann aber auch versuchen einen Mittelkurs zu halten – das heute vielbeschworene „ökologische Gleichgewicht“. Im Pool, hier der Singapore Airlines Country Club, ist das Element domestiziert. Es gibt keine Stürme, keine Haie, keine ebenso schönen wie scharfen Korallen. Es gibt aber auch wenig Aufregung. Die Bahnen am Grunde des Pools deuten auf den Wettkampf, soviel an Aufregung ist immerhin zugelassen, aber Entdeckungen macht hier keiner. Oder doch? Der Schwimmer, der sich im Film von Charles Lim den Weg zwischen grünen Algen bahnt, ist eine einsame Figur. Er kommt auch zu spät. Niemand kümmert sich mehr um die aufwendige Unterhaltung, die ein solches modernistisches Bauwerk in den Tropen erfordert: die billigen Diener sind nach Hause gegangen, die Herren auch.

Inseln ohne Wiederkehr

Im Zuge der Landgewinnung werden die seichten Küstengewässer um Singapur mit Tonnen von Sand aufgeschüttet. Dieser Sand entstammt den gleichen Regionen, aus denen im 19. Jahrhundert die Arbeitsmigranten ins Land strömten: Indonesien, China und Malaysia. Die Inseln von einst werden damit zu Teilen einer Landmasse, wodurch ihr Anblick an Oasen in der Wüste erinnert – bis die Bagger kommen.

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HDB

In den drei Landessprachen Singapurs – Englisch, Chinesisch und Malayisch – beansprucht das Housing Development Board (HDB) Land, das es noch nicht gibt: In den nächsten Jahren sollen hier neue Wohnungen für die stetig wachsende Bevölkerung von Singapur entstehen. Seit ihrer Gründung 1960 hat die HDB rund eine Million Wohneinheiten gebaut, was rund 80% der Gesamtwohnfläche des Stadtstaates ausmacht. Die meisten der Wohnungen wurden offiziell an Privatpersonen verkauft. Allerdings hat sich der Staat dabei eine Hintertür offen gehalten: Der Kauf einer HDB-Wohnung berechtigt lediglich dazu, diese für 99 Jahre zu nutzen. Danach geht sie an den Staat zurück und wird erneut verkauft.

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Der „Dieb“ des Trapezes

In seiner Autobiografie beschreibt Sir Peter Markham Scott (1909 – 89), wie er 1938 bei einer Regatta auf der Themse das Segeln mit dem Trapez erfunden hat. Wer aber den Erfahrungsbericht „Segelregatta in Malaia“ von 1885 gelesen hat, der weiss, dass die Technik des Trapezsegelns auf eine jahrhundertealte Tradition in Südostasien zurückblicken kann. Eingang in die Schulbücher dann allerdings die Darstellung des Engländers Scott. Ihm gehörte die Stimme, die aus dem Zentrum spricht: die Stimme des Empire.

Geerbt hatte Peter diese Stimme von seinem Vater, dem berühmten Polarforschers Robert Falcon Scott, der 1912 bei dem Versuch ums Leben kam „den Südpol [erstmals] zu erreichen und für das Britische Empire die Ehre dieser Errungenschaft zu sichern“, so sein Biograf. Im letzten Brief aus der Polarhölle, der „an meine Witwe“ überschrieben ist, bittet Scott seine Frau „dafür Sorge zu tragen, dass sich der Junge für Naturkunde interessiert, das ist besser als Spielen“.

Den väterlichen Rat sollte Peter nur zum Teil befolgen. Zwar machte er sich einen Namen als Ornithologe, der zahlreiche Expeditionen auf der ganzen Welt durchführte. Mehr noch aber hatten es ihm die Malerei und vor allem der Segelsport angetan. Während seine semi-naturalistischen Naturdarstellungen nur mässig Erfolg hatten, zeigte sich im Segeln sein wahres Talent: 1936 gewann Scott bei den Olympischen Spielen in Berlin die Bronzemedaille in der Einmann- Olympiajolle.
Peter Scott war Gründungsmitglied und erster Vizepräsident des 1961 in der Schweiz gegründeten „World Widelife Fund“ (WWF). Dessen berühmtes Panda-Logo geht auf Scotts Entwurf zurück.

Segelregatta in Malaia

Der Autor dieses Berichts, der 1885 im Journal London Fields veröffentlicht wurde, ist nicht bekannt. Die Region, die er beschreibt, entspricht der damaligen britischen Kronkolonie Straits Settlements (gegründet 1826), zu der auch Singapur gehörte.

 

Es ergab sich, dass ich dem Unkoo Khalid, einem stadtbekannten, sportinteressierten Gentleman aus Singapur und Bruder des Maharadschas, einige Fotografien der neuesten englischen Rennyachten zeigte. Da meinte er: „Willst Du nicht einmal ein echtes malaiisches Segelrennen erleben? Komm‘ doch zur Neujahrsregatta mit auf mein Boot. Du wirst sehen, wie flott man ohne Bleikiele ans Ziel kommt.“
Auf solch eine Einladung hatte ich schon lange gewartet. Meines Wissens hatte sich noch kein Europäer auf ein derartiges halb-amphibisches Unterfangen wie das Segeln auf einem „Sampan Panjang“ eingelassen. Dieser Bootstyp – schmal und lang, mit kurzem Mast und eleganten Linien, alles hervorragend gearbeitet – wird von reichen Malaien ausschliesslich in Rennen eingesetzt.

Das Boot, auf das ich eingeladen war, hatte eine Länge von rund 15 Metern; der Mast war 3 Meter hoch. Anders als englische Yachten ist das Schiff aber nur einen Meter tief und liegt daher beim Rennen nur etwa einen halben Meter im Wasser. Es gibt auch kein wirkliches Deck, alles ist offen und der Ballast besteht lediglich aus ein paar Säcken mit Steinen. Stabilität erhält das Schiff nur durch die Mannschaft, deren Mitglieder sich an Seilen, die oben am Mast befestigt sind, windseitig aus dem Boot hängen. Diese Technik ist einigermassen waghalsig und erfordert grosse Geschicklichkeit.

Mit klopfendem Herzen erklomm ich das extrem flache Seitendeck und betrachtete die Konstruktion vom Schiff aus: den langgezogenen, schmalen Körper mit den kräftigen Masten und eleganten, rund 12 Meter langen Bambusspieren, welche die gewaltigen Lateinersegel aus amerikanischem Zwilch trugen. Derartige Bambusstangen, so der Unkoo, kommen aus Sulawesi.

Zur Mannschaft gehörten 23 Malaien, die sich, soviel ist bekannt, im Wasser ebenso wohlfühlen wie auf dem Wasser. Mein Freund kannte nur wenige dieser rauhen Burschen; bloss der Steuermann war ihm von früheren Regatten vertraut. Viel Zeit zum Sinnieren blieb mir aber nicht, denn es sollte bald losgehen. Die Geschwindigkeit und Effizienz, mit der die Segel gehisst und das Boot startklar gemacht wurden, zeigten jedenfalls deutlich, dass hier keine Novizen am Werk waren.

Platt vor dem Wind segelten wir bei leichter Brise los, neben uns die Hariman Bettina oder „Tigerin“, die etwas kleiner war als unser Schiff. Sie gehörte Unkoo Abdul Madjid, einem anderen Bruder des Maharadschas. Beide Boote waren mit dicken Farnbüscheln geschmückt und am Vorsteven prangten, kundig angebracht von zarten Händen, leuchtendrote und gelbe Hibsikusblüten. Unser Schiff, das sollte ich noch erwähnen, trug den wunderlichen Namen Khelat Barat, was soviel bedeutet wie „Westlicher Blitz“. Die schlimmsten Gewitter hier in der Region ziehen gewöhnlich von Westen auf. Sie sind von äusserster Heftigkeit und entsprechend gefürchtet bei den Malaien in ihren offenen, zerbrechlichen Booten.

Die Fahrt zum ersten Markierungsboot (nach 3 Kilometern) verlief zügig; die Dampfschiffe, welche die Regatta begleiteten, hatten wir bald hinter uns gelassen. Was mich aber am meisten beeindruckte, das war das nahezu geräuschlose Dahinschiessen des Sampan Panjang. Das Boot schien wie von einer stillen Kraft getrieben. In seinem Kielwasser hinterliess es eine scharfe Furche, die von kräuselnden Wellen gesäumt wurde. Beim Blick nach oben zu den Spieren aber wurde mir bange: Wie würde es möglich sein das Boot beim Anluven [in den Wind segeln] über Wasser zu halten?

Hinter mir hockte der Steuermann. Er betätigte das kleine Ruder (35 cm), während ein anderer ihm zur Seite ein 3 Meter langes Paddel hielt, das mit seinem diamantförmigen Blatt zum Ausführen plötzlicher Manöver oder zum Wenden diente. Wir waren alle barfuss, sonst trug ich noch einen alten Flanell zum Kanufahren und hielt mich, wie alle anderen auch, bereit, auf ein Zeichen hin ins Wasser zu springen. Mein Nachbar war ein leutseliger, untersetzter Malaie, dem ich dabei half an der Grossschott „zu hängen“. Das Seil lief durch eine Flasche nach achtern; das Ende war um einen hölzernen Poller auf dem Seitendeck geschlungen. Wie ich leidvoll erfahren musste, wurden sämtliche Seile die ganze Zeit über mit den Händen gehalten – und das über geschlagene drei Stunden, so dass mich bald die fürchterlichsten Krämpfe heimsuchten.

Bei Erreichen des ersten Markierungsboots fuhren wir in eine kräftige Bö. Jetzt herrschte plötzlich Aufregung und es erschallten Zurufe wie „Achtung, die Seile“. Sechs Mann verliessen ihre Plätze und kletterten mit Hilfe von Knotenseilen zum windseitigen Deck. Fünf andere schnappten sich die Seile, die vom Vormast hingen und schlüpften in die Schlingen an ihrem Ende, um sich mit dem ganzen Körper windseitig aus dem Schiff zu lehnen. Nur die Zehen hatten noch Kontakt zum Holz. Sobald sich das Schiff senkte, brausten die Wellen über die Leiber hinweg – ein faszinierender Anblick. Der Rest von uns hielt die Seile so fest gepackt, wie es eben ging, während ein paar Mann die Wassermassen, die mit alarmierender Wucht ins Boot gedrückt wurden, auszuschöpfen versuchten.

Auf so etwas wie das Reffen oder die Verringerung der Segelfläche wurde kein Gedanke verschwendet. Es ging einfach nur darum das Gewicht der Crew gegen die Windstärke auszuspielen. Gelockert wurden die Schoten lediglich, wenn die Wassermenge das Boot zum Kentern zu bringen drohte. Oft hatte man das Gefühl in einer Wanne mit Salzwasser zu sitzen…

Das Höllentempo, das uns diese Technik bescherte, lässt sich mit dem Hinweis unterstreichen, dass wir noch vor dem dritten Markierungsboot (nach 7 Kilometern) sämtliche europäische Rennyachten und Marinekutter überholt hatten, von denen einige immerhin eine dreiviertel Stunde vor uns aufgebrochen waren. Belustigt war ich auch von den erstaunten Blicken aus den Caracoas [ein philippinischer Schiffstyp], an denen wir vorbeischossen, während unsere halbe Mannschaft aus dem Boot hing.

Nachdem ich selbst schon auf 10-, 20- und 90-Tonnen-Yachten in englischen Gewässern gesegelt bin, muss ich zugeben, dass diese Art von Regatta, bei der jeder einzelne Mann an Bord zum untrennbaren Bestandteil des Bootes wird, verbunden mit der unerhörten Aufregung und dem Tempo, alle früheren Elebnisse bei weitem übertraf.

Bei gutem Wind und ohne zu kreuzen erreichten wir in etwas über einer Stunde das vierte Markierungsboot und beendeten so die erste Runde.

Die „Tigerin“, die mit weniger Mannschaft und Ballast näher an der Küste segelte, liess sich allerding nicht abschütteln, sondern vermochte dank eines glücklichen Windstosses sogar an uns vorbeizuziehen. Kurzerhand beschlossen wir eine Menge unseres Ballasts über Bord zu werfen – eine Entscheidung, die sich bald als fatal erweisen sollte.

Der Wind, der von Osten kam, wurde in der zweiten Runde merklich stärker. Wir begannen zu kreuzen, aber nun fehlte uns das Gewicht. Als die Böen immer stärker wurden, waren wirklich alle Mann draussen und wir mussten die Schoten lockern, um die Hand zum Wasserschöpfen frei zu bekommen. Ein oder zwei Mal sah ich schon das Ende nahen, aber wirklich kritisch wurde es erst zum Abschluss der vorletzten Runde hin. Da nämlich erwischte uns ein Luftwirbel, wohl ausgelöst durch heisse Strömungen vom Land her, als gerade zwanzig Mann draussen hingen. Die Welle, die über uns hereinbrach und einige der Malaien ins Wasser fegte, war zum Glück ebenso schnell wieder verschwunden wie sie aufgetaucht war. Das Boot allerdings stand bis zu den Sitzbrettern voller Wasser.

Aus einem unerfindlichen Grund war die Tigerin dem kleinen Wirbelsturm entgangen. Sie fuhr auf und davon und entschied das Rennen für sich, während wir uns daran machten das Wasser auszuschöpfen. Den Malaien war dem eigenen Bekunden nach eine derartige Turbulenz noch nie untergekommen. Unkoo gestand mir, dass er fest mit unserem Kentern gerechnet hatte und liess uns noch eine Weile dahintreiben, bevor die Segel eingeholt wurden. Ich selbst dachte nie an die Möglichkeit des Kenterns, denn ich vertraute den Malaien und ihren Segelkünsten.